Sourcing: Vertragsende in Sicht – Alternativen und Chancen
Auslaufende Verträge bieten – als Alternative zur ressourcenintensiven kompletten Neuausschreibung - die Chance von Neuverhandlungen mit dem bestehenden Service Provider. Im Prinzip eröffnen sich drei Handlungsoptionen. Ergebnis aller drei Varianten sollte immer ein modernes, zukunftsorientiertes Vertragswerk, sowie marktkonforme Preise sein.
Nicht selten werden die handelnden Akteure vom drohenden Ende eines laufenden Outsourcings-Vertrags „überrascht“. Gefühlt ist man schon „ewig“ beim derzeitigen Dienstleister, die genauen Vertragsdetails sind in der Schublade verschwunden und schlimmstenfalls existiert keine Datenbasis, die rechtzeitig eine Erinnerung an Einkauf und Fachabteilung schickt.
In einigen Fällen erinnert der Dienstleister von sich aus daran, dass bald die Vertragsgrundlage verwirkt ist. Wenn er im gleichen Atemzug erwähnt, dass es überhaupt kein Problem wäre, die Vertragslaufzeit auf Basis der derzeitigen Konditionen zu verlängern, dann sollte zumindest der Einkauf aufhorchen, denn solche Angebote lassen in manchen Fällen darauf schließen, dass ein guter Einkäufer hier sicherlich mit etwas Verhandlungsgeschick bessere Konditionen für sein Unternehmen aushandeln kann.
Nachfolgend soll ein Blick auf mögliche Handlungsoptionen geworfen werden, wie es weitergehen kann, ohne allzu disruptiv mit den betroffenen Services umzugehen. Aristoteles hält hierfür den handelnden Personen einen Leitstrahl vom Leuchtturm bereit: »Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen«.
Option 1: Vertragsverlängerung mit dem Bestandsdienstleister
Häufig findet sich in den Verträgen eine Verlängerungsoption. Wenn die
Leistungserbringung generell stimmt, ein vertrauensvolles Miteinander den täglichen
Umgang bestimmt, es keine grundlegenden Änderungswünsche gibt sowie interne
Richtlinien eine Vertragsverlängerung unterstützen, dann ist diese Option diejenige, die
am wenigsten Arbeit bereitet. Je nach Ausgestaltung des Vertrags kann diese Option
einseitig, also nur durch den Kunden, gezogen werden oder es bedarf der Zustimmung
beider Vertragspartner. Wichtig hierbei ist, dass in der Regel bestimmte Fristen gewahrt
werden müssen – was wiederum für einen gut gepflegten Fristenkalender im
Vertragsmanagement spricht. Sollte die Frist verstrichen sein, so ist der Kunde auf das
Wohlwollen des Lieferanten angewiesen, was aber im oben geschilderten Szenario
durchaus vorhanden sein sollte. Diese Option bietet sich ebenfalls an, um Zeit zu
gewinnen, möglicherweise, weil keine Ressourcen verfügbar sind, um eine
Angebotsanfrage am Markt zu starten und man sich durch die Verlängerung weitere
zwölf Monate Zeit „erkauft“.
Eine Vertragsverlängerung hat jedoch immer auch eine andere Seite der Medaille. In den allermeisten Fällen sind es die Preise, die vor einigen Jahren noch auf einem anderen, deutlich höherem, Niveau lagen als zum Zeitpunkt der Vertragsverlängerung. Hier sollte unbedingt überprüft werden, ob eine Preisanpassung erfolgen kann, etwa unter Durchführung eines Vertragsbenchmarks. Eine entsprechende Benchmark-Klausel im Vertragswerk kann hier für signifikante Preisänderungen sorgen. Im Zweifelsfall sollte vorab eine Überprüfung mit einer IT-Sourcing-Beratung erfolgen, die auch über eine Benchmark-Datenbank verfügt, um das vorhandene Potenzial auszuloten.
Option 2: Neuverhandlung mit dem Bestandsdienstleister
Besteht die Notwendigkeit, den Vertrag oder Leistungsinhalte zu modernisieren oder zu
verändern, aber grundsätzlich die Absicht, mit dem Bestandsdienstleister in eine weitere
Vertragsperiode zu gehen, so bietet sich die Option der Neuverhandlung an, die exklusiv
mit dem Bestandsdienstleister durchgeführt wird. Auch hier sollte die grundsätzliche
Zufriedenheit mit den erbrachten Leistungen im Vordergrund stehen. Bei lange
laufenden Verträgen nagt tatsächlich der Zahn der Zeit sowohl am Vertragsrahmen als
auch an den Leistungsscheinen, auch die aktuelle politische Großwetterlage von Brexit
bis Corona kann dazu führen, dass Vertragsinhalte angepasst werden müssen. Im Vorfeld
der Verhandlungen sollten die Verhandlungsziele indes klar formuliert sein, von der
Maximalforderung bis hin zu den minimal akzeptablen Verbesserungen. Neben den
Zielen sollte auch die Verhandlungsstrategie vorab abgestimmt werden, so dass alle
Protagonisten mit in einem Boot sitzen und mit einer Sprache sprechen. Außerdem
können im Rahmen einer Neuverhandlung mit veränderten Leistungsinhalten die Preise –
anders als bei der Verlängerung – direkt neu kalkuliert und verhandelt werden.
Ist kein oder nur wenig Know-how im Unternehmen vorhanden, was sowohl die aktuellen
Standards von Verträgen und Leistungsscheinen betrifft als auch die derzeit am Markt
gezahlten Preise für diese Services, empfiehlt sich wiederum die Hinzuziehung von
Spezialisten, wie etwa auf IT-Recht spezialisierte Anwaltskanzleien sowie IT-Sourcing- und
Benchmarkspezialisten. Wichtig ist zu verstehen, dass nicht alle Wünsche
uneingeschränkt durchgesetzt werden können. Auch seitens der Dienstleister wird es
Ansprüche an die Modernisierung der Verträge geben und jeder Dienstleister ist stark
daran interessiert, möglichst ohne Einschränkungen den eigenen Standard anbieten zu
können. Daher sei nochmals auf die oben beschriebene Liste zu den Minimal- und
Maximalforderungen verwiesen.
Option 3: Request for Proposal (RfP) – komplette Ausschreibung
Die dritte Option ist die aufwendigste von allen. Gründe für die Durchführung eines RfPs
kann es viele geben, sei es ein zerrüttetes Verhältnis mit dem Bestandsdienstleister, zu
hohe Preise, neue Services werden vom Bestandsdienstleister nicht angeboten, etc. Auch
die interne Vorgabe, in bestimmten Abständen Preise und Leistungen direkt am Markt
durch alternative Angebote zu verifizieren gehört dazu. Auf der anderen Seite gibt ein
RfP immer auch die Möglichkeit, maximal disruptiv die Leistungserbringung auf ein
anderes Niveau zu bringen, beispielsweise vom Hosting in einem traditionellen
Rechenzentrum zur Erbringung der Leistung aus der Cloud. Wie schon erwähnt: es muss
mit einkalkuliert werden, dass viel Energie und viele Ressourcen in die sorgfältige
Erstellung der RfP-Dokumente investiert werden muss. Auch die Auswertung und
Gegenüberstellung der Angebote, die aufgrund eines RfPs eintreffen werden, fallen
nicht einfach vom Himmel, sondern müssen zusätzlich zum Tagesgeschäft gestemmt
werden. Vielen Unternehmen fällt es nicht leicht, tatsächlich diese Ressourcen
bereitzustellen, aber ohne eigenen Einsatz ist ein RfP-Projekt schon von Beginn an zum
Scheitern verurteilt. Nicht zu vergessen ist hier auch die Service Provider Situation. Auch
hier sind Ressourcen für komplexe und hochwertige Ausschreibungen knapp und diese
Angebotserstellungen kosten eine Menge Geld. Daher gehen immer mehr Anbieter
dazu über, die Erfolgsaussichten eines Angebotes vorab sehr intensiv zu analysieren und
zu bewerten, ein Parameter ist hier auch die „Wechselneigung“ des potentiellen Kunden.
Im Extremfall kann es dazu kommen, dass neben dem Bestandsprovider kein weiterer
Service Provider überhaupt ein Angebot abgibt.
Wie in den beiden anderen Optionen zuvor kann natürlich durch den Einsatz eines professionellen IT-Sourcing-Beraters Know-how zugekauft und so der interne Aufwand minimiert werden. Aber am Ende konsumiert das beauftragende Unternehmen die eingekauften Leistungen, nicht der Sourcing-Berater. Deshalb müssen die RfPUnterlagen auch zum Unternehmen passen. Der Standard passt eigentlich nie. Natürlich darf ein weiterer Vorteil nicht verschwiegen werden: Sourcing-Berater kennen den Markt und können so zielgerichtet zum Erfolg des RfP-Projektes beitragen. Dazu gehört auch die „Motivation“ geeigneter Kandidaten, damit diese an der Ausschreibung, mit einem attraktiven Angebot, teilnehmen.
Auch wenn sich der Bestandsdienstleister am Ende eines RfP-Projektes wiederum die Leistungserbringung für die kommenden Jahre gesichert haben sollte: Er hat sich dem Wettbewerb gestellt und offensichtlich die Fachabteilungen und das Management überzeugt.
Ein modernes, zukunftsorientiertes Vertragswerk sowie marktkonforme Preise kann also auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Fatal sind Situationen, in denen der eingeschlagene Weg scheitert – sei es, dass die Qualität der Ausschreibung schlecht ist, oder der Prozess wg. Zeitdruck abgebrochen werden muss.
Die Tendenz geht auf jeden Fall dazu, einen möglichst ressourcenschonenden Weg zu wählen, falls die Anforderungen und das Umfeld das zulassen.

Christoph Lüder

Mohammed Mosavi